Freier Weidegang (Extensive Weidehaltung)

Entstehung, Auswirkungen und Herausforderungen

Die extensive Weidehaltung, auch als freier Werdegang bezeichnet, ist eine Weideform, bei der Schafe und andere Nutztiere auf großen, weitgehend unkontrollierten Flächen weiden. Diese Praxis hat sich seit den 1950er Jahren als dominierende Bewirtschaftungsmethode in Österreich etabliert, insbesondere aufgrund der strukturellen Veränderungen in der Almwirtschaft. Mit dem Rückgang hauptberuflicher Landwirte und dem Anstieg von Nebenerwerbsbetrieben wurde die extensive Weidehaltung für viele Landwirte zur praktikabelsten Lösung(Blühendes Österreich, o.D.).

Während früher Formen der ständigen Behirtung wie die Wanderschäferei üblich waren, erfordert die extensive Weidehaltung weniger Arbeitsaufwand und ist somit für Landwirte mit begrenzter Zeitressource die einzige wirtschaftlich umsetzbare Alternative geblieben (Moser & Willems, 2025). Allerdings bringt diese Bewirtschaftungsmethode erhebliche Nachteile mit sich, insbesondere hinsichtlich der Vegetationsentwicklung, der Gesundheit der Tiere und des Herdenschutzes.

Aufgrund dieser Probleme fordert das Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein in einer Stellungnahme eine Umstellung von der extensiven Weidehaltung hin zu gelenkter Weideführung. In einem aktuellen Podcast betonen Experten die Notwendigkeit, entweder eine ständige Behirtung oder eine sektorielle Beweidung einzuführen, um die Almwirtschaft zukunftssicher zu gestalten und die Herausforderungen durch Beutegreifer und Vegetationsveränderungen zu bewältigen (Raumberg-Gumpenstein, 2024).

Grasungsverhalten im Vergleich zur Wanderschäferei und sektorielle Beweidung

Das Fressverhalten von Schafen unterscheidet sich in der extensiven Weidehaltung stark von der Wanderschäferei und der sektoriellen Beweidung:

  • Selektive Nahrungsaufnahme: Ohne gezielte Führung fressen die Tiere vorzugsweise bestimmte Pflanzenarten, während andere unberührt bleiben. Dies kann zu einer Verarmung der Pflanzenvielfalt und einer Dominanz unerwünschter Pflanzenarten führen (Guggenberger et al., 2014).
  • Drang nach oben: In alpinen Regionen tendieren Schafe dazu, höher gelegene Weideflächen aufzusuchen, während tiefere Lagen ungenutzt bleiben. Dadurch werden frische Kräuter und Futterpflanzen überbeansprucht, was das Nachwachsen der Vegetation erschwert (Moser & Willems, 2025).
  • Ungleichmäßige Flächennutzung: Während bei der Wanderschäferei die Tiere gezielt über die Weideflächen geführt werden, grasen sie bei der extensiven Weidehaltung oft nur an bevorzugten Standorten, was zu ungleichmäßig genutzten Almflächen führt (Zwischenbericht Herdenschutzprojekte, 2024).

Diese Faktoren haben negative Auswirkungen auf die Biodiversität und die Offenhaltung der Landschaft, da konkurrenzstarke Pflanzenarten wie Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) oder Weißdorn (Crataegus monogyna) die weniger genutzten Weideflächen übernehmen und artenreiche Wiesen verdrängen (NABU, 2021).

Strukturwandel und Herausforderungen für das Weidemanagement

Die extensive Weidehaltung wurde maßgeblich durch den Rückgang hauptberuflicher Almbauern und den Anstieg an Nebenerwerbsbetrieben nach 1950 begünstigt. Heute arbeiten über 55 % der österreichischen Landwirte im Nebenerwerb (Blühendes Österreich, o.D.).

Diese Entwicklung führte zu mehreren Herausforderungen:

  • Aufspaltung der Herde: Ohne Behirtung neigen Schafe dazu, sich in kleine Gruppen zu teilen, was die Kontrolle und das Management erschwert (Prozessbegleitung Spisser Schafberg, 2023).
  • Schwierige Gesundheitskontrolle: Krankheiten und Verletzungen werden oft zu spät erkannt, da regelmäßige Nachschauen aufgrund der verstreuten Herde schwierig sind. Parasiten- oder Klauenkrankheiten können sich dadurch unbemerkt ausbreiten (Schrift692 HS in Steillagen, 2023).
  • Mangelnde Effizienz im Herdenschutz: Während in der Wanderschäferei oder sektoriellen Beweidung elektrische Zäune, Nachtpferche und Herdenschutzhunde genutzt werden, sind extensive Weiden oft ungeschützt. Dies macht Schafe besonders anfällig für Wolfs- und Bärenangriffe (Zwischenbericht Herdenschutzprojekte, 2024).

Extensive Weidehaltung und die Rückkehr der Beutegreifer

Mit der Rückkehr großer Beutegreifer wie Wölfen und Bären wird die extensive Weidehaltung zunehmend problematisch:

  • Höheres Risiko für Schafe: Unkontrolliert weidende Tiere sind leichte Beute für Raubtiere, da sie sich über große Flächen verteilen und nicht schnell verteidigt werden können (NABU, 2021).
  • Steigende Verluste: In vielen Regionen Europas, darunter Österreich, Deutschland und Frankreich, sind Schafsrisse durch Wölfe in den letzten zehn Jahren signifikant gestiegen (BIO AUSTRIA, 2022).
  • Schutzmaßnahmen notwendig: Es wird erwartet, dass moderne Schutztechnologien wie Herdenschutzhunde, verstärkte Elektrozäune, GPS-Tracking und Drohnenüberwachung helfen könnten, um die extensive Weidehaltung sicherer zu gestalten (Zwischenbericht Herdenschutzprojekte, 2024).

Da viele Almen jedoch geringe Auftriebszahlen, fehlende Hirten und keine sektorielle Beweidung aufweisen, sind diese Maßnahmen oft nicht umsetzbar. Raumberg-Gumpenstein empfiehlt daher in einer Stellungnahme die Zusammenlegung von Almen, sodass mehrere Landwirte gemeinsam Ressourcen nutzen und eine effizientere Weideführung realisieren können (Raumberg-Gumpenstein, 2024).

Literaturverzeichnis