In südeuropäischen Ländern und auf Almen werden Herdenschutzhunde (HSH) tagsüber fast ausschließlich ohne Zäune gemeinsam mit Hirten eingesetzt, um die Herden zu schützen. Die Hirten führen die Tiere durch eine sogenannte gelenkte Weideführung zu den besten Weidegebieten, wobei Hütehunde die Schafe, Ziegen, Rinder und Pferde lenken. Die HSH folgen den Anweisungen der Hütehunde und begleiten die Herde. Nachts werden die Tiere jedoch, auch in diesen Regionen, zusammen mit den HSH in Nachtpferchen hinter Zäunen gehalten, um den Schutz der Herde zu gewährleisten.
In vielen mitteleuropäischen Ländern werden HSH dagegen meist dauerhaft hinter Zäunen gehalten. Daher ist die Entwicklung einer sogenannten Zauntreue eine zentrale Aufgabe in der Ausbildung eines HSH. Bereits im jungen Alter müssen die Hunde lernen, dass sie die durch Zäune gesetzten Grenzen respektieren müssen. Diese Fähigkeit ist besonders in dicht besiedelten Gebieten wichtig, wo HSH in unmittelbarer Nähe zu Menschen arbeiten. Ein HSH, der die Zauntreue erlernt hat, betrachtet den Zaun als sein Revier und bleibt zuverlässig bei seiner Herde.
Eine weitere bemerkenswerte Eigenschaft gut ausgebildeter HSH ist ihre Fähigkeit, andere Hunde richtig einzuschätzen. Sie erkennen instinktiv, ob ein Hund, der sich der Herde nähert, eine Bedrohung darstellen könnte. Diese genetisch verankerte Fähigkeit, zwischen Freund und potenzieller Gefahr zu unterscheiden, wurde über Jahrtausende in den HSH verfeinert. Solange der fremde Hund keine feindseligen Absichten zeigt, bleiben die HSH neutral und friedlich.
Darüber hinaus ist es in modernen, stark frequentierten Gebieten wichtig, dass HSH gegenüber verschiedenen Reizen desensibilisiert werden, wie zum Beispiel gegenüber Radfahrern, Mountainbikern, Skateboardern und Wanderern mit Hunden. Diese Desensibilisierung ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer intensiven Ausbildung, die sie durch das Vorbild erfahrener Hunde und Hirten erlernen. Mit etwa drei Jahren haben HSH die nötige Erfahrung gesammelt, um sicher mit diesen Ablenkungen umzugehen, ohne ihren Schutzinstinkt zu verlieren.
Wenn HSH hauptsächlich hinter Zäunen gehalten werden, ist der tägliche soziale Kontakt mit dem Besitzer besonders wichtig. Hunde sind soziale Tiere, deren enge Bindung zu Menschen ein entscheidender Teil ihrer Entwicklung und Geschichte ist. Ohne regelmäßigen menschlichen Kontakt können Herdenschutzhunde emotional instabil werden. Wer als Halter in diesen Kontakt investiert, wird mit loyalen und ausgeglichenen Hunden belohnt, die nicht nur auf äußere Reize neutral reagieren, sondern auch Beutegreifer wie Wölfe erfolgreich von der Herde fernhalten.
Ein weiterer Vorteil der HSH ist ihre Fähigkeit, auch dann Schutz zu bieten, wenn der Zaun beschädigt wird – sei es durch Wind, umgestürzte Bäume oder Wildtiere. Selbst wenn der physische Schutz vorübergehend nicht gegeben ist, bleiben die Hunde wachsam und verteidigen ihre Herde zuverlässig. Diese zusätzliche Schutzfunktion ist besonders in Notfällen von großer Bedeutung.
Wenn HSH durch einen beschädigten Zaun außerhalb ihrer Herde unterwegs sind, tun sie dies nicht aus Langeweile, sondern um ihr Revier zu erkunden und zu markieren. Sie zeigen Wölfen und anderen Beutegreifern, wo die Grenzen ihres Territoriums liegen, und verhindern so, dass sich die Raubtiere der Herde zu sehr nähern. Dieses Revierverhalten lässt sich sogar gezielt nutzen, indem man regelmäßig mit den HSH außerhalb des Zauns spazieren geht und so das Schutzgebiet der Hunde erweitert.
Ein besonders wichtiger Aspekt ist die Aufklärung der Bevölkerung. Das Durchqueren von eingezäunten Weideflächen, unabhängig davon, ob HSH anwesend sind oder nicht, sollte grundsätzlich vermieden werden. Es besteht weiterhin ein großer Aufklärungsbedarf, um potenzielle Konflikte zu verhindern und das Verständnis für die wertvolle Arbeit von Herdenschutzhunden zu fördern.