Ständige Behirtung in Österreich:

Status quo, Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Die Wanderschäferei, auch als Transhumanz bekannt, war über Jahrhunderte eine weit verbreitete Form der Weidewirtschaft, bei der Schafe, Ziegen oder Rinder saisonal zwischen Sommer- und Winterweiden wechselten. Während die Wanderschäferei in Südeuropa – insbesondere in Friaul, Venetien und der Lombardei – nach wie vor weit verbreitet ist, gibt es in Österreich nur noch vereinzelte Ansätze. Dennoch gewinnt diese Bewirtschaftungsform durch gelenkte Weideführung, Herdenschutzmaßnahmen und technologische Unterstützung wieder an Bedeutung.

Sie ist gekennzeichnet durch mehrere zentrale Komponenten:

  1. Saisonale Wanderung: Die Tiere wechseln wie in Friaul regelmäßig zwischen Winterweiden im Tal und Sommerweiden in höheren Lagen.
  2. Gelenkte Beweidung: Die Weideflächen werden gezielt genutzt, um eine nachhaltige Futterversorgung sicherzustellen und Überweidung zu vermeiden. Dies ist zum Beispiel bei den Tiroler Projektalmen aber auch bei den BML Projekten wie Diversität auf der Alm der Fall.
  3. Hirtenbetreuung: Allen gemeinsam ist, dass die Herden von Hirten begleitet, die für Schutz, Weidemanagement und Gesundheitskontrolle der Tiere verantwortlich sind.
  4. Herdenschutzmaßnahmen: Durch diee Rückkehr der Beutegreifer immer wichtiger ist der Schutz der Herden mit Herdenschutzhunde, Nachtpferche und elektrischen Zäunen.
  5. Biodiversitätsförderung: Essentiell ist, dass die extensive Weidehaltung trägt zur Erhaltung artenreicher Almflächen bei und verhindert die Verbuschung von Grünland.

In den letzten Jahren hat sich der Begriff der Wanderschäferei gewandelt. Heute bezeichnet man damit die aktive ständige Behirtung und das Umherziehen von Herden über große, zusammengelegte Almen. Dabei werden extensive Weideflächen genutzt, um eine nachhaltige Beweidung sicherzustellen, Biodiversität zu fördern und die Verbuschung von Almflächen zu verhindern (Guggenberger et al., 2023). Laut Raumberg-Gumpenstein wird diese Methode künftig auf bis zu 200 Almen in Österreich angewendet werden, um Biodiversität zu fördern, nachhaltige Futterverwertung sicherzustellen und traditionelle Weidewirtschaft mit modernen Technologien zu verbinden.

Die gelenkte Weideführung ist eine moderne Form des Weidemanagements, bei der Tiere innerhalb eines definierten Gebiets kontrolliert geweidet werden. Ziel ist es, eine nachhaltige Futterverwertung, die Erhaltung der Biodiversität und die Vermeidung von Überweidung oder Verbuschung sicherzustellen.

Kernmerkmale der gelenkten Weideführung:

  • Sektorale Beweidung: Die Weideflächen werden in Abschnitte unterteilt und rotierend beweidet. Dadurch erhalten sich die Vegetationsflächen besser und der Boden kann sich regenerieren.
  • Gezielte Steuerung der Herdenbewegung: Die Tiere werden bewusst auf bestimmte Flächen geführt, um unerwünschte Pflanzen zu regulieren, wertvolle Pflanzen zu schützen und die Bodenstruktur zu verbessern.
  • Technologische Unterstützung: Moderne Methoden wie GPS-Tracking, elektrische Zäune, Drohnen zur Überwachung und automatisierte Futtersteuerung werden zunehmend eingesetzt, um die Weideführung effizienter zu gestalten.
  • Herdenschutzintegration: Durch eine strategische Lenkung der Herden können Risiken durch Beutegreifer minimiert und Herdenschutzhunde oder mobile Zäune gezielt eingesetzt werden.
  • Nachhaltige Nutzung der Almflächen: Die Beweidung wird so organisiert, dass sich die Vegetation auf natürliche Weise regeneriert, was langfristig zur Stabilisierung des Ökosystems beiträgt.

Verschiedene EU- und BML-Projekte fördern heute die Wanderschäferei mit dem Ziel, die Hirtenausbildung zu verbessern, die Biodiversität auf Almen zu erhalten und nachhaltige Beweidungskonzepte zu etablieren.

Ökologische Bedeutung und Einfluss auf die Biodiversität

Extensive Beweidung durch Wanderschäferei trägt entscheidend zur Förderung der Artenvielfalt und zur Stabilisierung von Ökosystemen bei. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass beweidete Almflächen eine signifikant höhere Pflanzen- und Insektenvielfalt aufweisen als unbewirtschaftete Flächen (Praxishandbuch Wiederbelebung Almen, 2023).

Positive Effekte der Wanderschäferei auf das Ökosystem:

  • Erhalt artenreicher Wiesen: Die selektive Beweidung durch Schafe und Ziegen fördert das Vorkommen seltener Pflanzenarten.
  • Förderung von Bestäuberinsekten: Wildbienen, Schmetterlinge und andere Bestäuber sind auf offene Weideflächen angewiesen.
  • Verhinderung von Verbuschung und Wiederbewaldung: Ohne Beweidung würden sich konkurrenzstarke Gehölze wie Weißdorn (Crataegus monogyna) oder Alpenrose (Rhododendron ferrugineum) ausbreiten und die Offenlandhabitate verdrängen.

Ein bemerkenswertes Beispiel ist der traditionelle Schafübertrieb vom Schnalstal ins Ötztal, der seit über 6000 Jahren praktiziert wird. Diese Transhumanz fördert die Verbreitung von Pflanzensamen und trägt zur Offenhaltung der Landschaft bei (Transhumanz.eu, o. D.).

Herdengröße und Weidemanagement

Herdengröße in der Wanderschäferei

Die Größe der Herden variiert in Österreich stark und ist abhängig von Topographie, Vegetation und verfügbaren Arbeitskräften.

  • Durchschnittliche Herdengröße: 200–900 Tiere.
  • Kleinere Herden (< 300 Tiere) sind in hochalpinen Regionen üblich.
  • Größere Herden (500–900 Tiere) kommen in weitläufigen Almgebieten vor, insbesondere bei sektoraler Weideführung mit technischer Unterstützung (Moser & Willems, 2025).

Weideorganisation und Nachtpferche

  • Rotationsweidesysteme minimieren Überweidung und fördern eine gleichmäßige Nutzung der Vegetation.
  • Elektrische Nachtpferche schützen die Herden vor Beutegreifern.
  • Gezielte Weideführung verbessert die Bodenstruktur und verhindert Trittschäden.

EU- und BML-Projekte zur Förderung von Behirtung, Herdenschutz und Biodiversität

EU-Projekte

  • LIFEstockProtect (2020–2025): Förderung der Akzeptanz von Herdenschutz im deutschsprachigen Alpenraum und Reduktion des Mensch-Wolf-Konflikts.
  • EU4Shepherds: Entwicklung einer europaweit abgestimmten Ausbildung für Schäferinnen und Schäfer zur Stärkung des Berufsbilds.
  • TRANSFARM: Schulungsmaterial für Praktiker der Transhumanz, sowohl für Neueinsteiger als auch für erfahrene Hirten.
  • GeWeid (2024): Entwicklung einer Basisausbildung für qualifiziertes Personal auf Almen zur Förderung nachhaltiger Beweidung und des Kulturlandschaftsschutzes.

BML-Projekte

  • Diversität auf der Alm (2024): Förderung der Biodiversität auf Almen durch Ziegenbeweidung, Hirtenausbildung und den Einsatz von Herdenschutzhunden.
  • AlmBio (2018–2023): Verbesserung der Futterqualität und Biodiversität auf Almen durch wissenschaftliche Praxisversuche.
  • AGRAM (2008): Entwicklung innovativer Almmanagementstrategien durch gezielte Beweidung mit Schafen.
  • RoWei (2024): Untersuchung der Auswirkungen von alternierender Beweidung auf die Vegetationszusammensetzung.

Diese Projekte zeigen das Engagement der EU und des österreichischen BML zur Förderung der Behirtung, des Herdenschutzes und der Biodiversität auf Almen.

Das Österreichische Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL)

Das ÖPUL (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft) ist ein zentraler Bestandteil der österreichischen Agrarpolitik. Es wurde 1995 eingeführt und fördert umweltfreundliche Bewirtschaftungsmaßnahmen durch finanzielle Anreize. Besonders für Almbewirtschaftung und Behirtung gibt es spezifische Fördermaßnahmen, die eine nachhaltige Weideführung unterstützen (BML, 2024) wie zum Beispiel:

  • Förderung der aktiven Behirtung: Landwirte erhalten Zuschüsse für kontinuierliche Betreuung der Herdendurch Hirten.
  • Unterstützung für Infrastruktur: Finanzierung für mobile Unterkünfte, elektrische Zäune und Nachtpferche.
  • Prämien für extensive Weidewirtschaft: Betriebe, die auf chemische Dünger und intensive Fütterung verzichten, erhalten höhere Subventionen.

Das ÖPUL hat entscheidend dazu beigetragen, dass behirtete Almen nicht vollständig verschwunden sind und die Biodiversität in beweideten Landschaften erhalten bleibt (BML, 2024).

Fazit und Zukunftsperspektiven

Die Wanderschäferei bleibt eine ökologisch wertvolle und nachhaltige Form der Weidewirtschaft, die zur Biodiversitätssicherung und zur Offenhaltung der Landschaft beiträgt.

Trotz der Herausforderungen durch Hirtenmangel und die Rückkehr der Beutegreifer bieten neue Technologien, Förderprogramme wie ÖPUL und Ausbildungsinitiativen wie TransFarm und EU4Shepherds vielversprechende Zukunftsperspektiven.

Eine nachhaltige Wanderschäferei wird durch gelenkte Beweidung, effektiven Herdenschutz und digitale Unterstützung langfristig gesichert werden können.

Literaturverzeichnis

  • Blaschka, A. (2014). Mit Zähnen und Klauen: Erhalt und Wiederherstellung von Ökosystemleistungen einer alpinen Kulturlandschaft. HBLFA Raumberg-Gumpenstein.
  • Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft (BML). (2024). Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL).
  • Guggenberger, T., Huber, R., & Moser, S. (2023). Artenschutz & Ökosystemleistungen in der Wanderschäferei. HBLFA Raumberg-Gumpenstein.
  • Moser, S., & Willems, H. (2025). Zwischenbericht Herdenschutzprojekte Tirol 2024. Büro Alpe, Tirol.
  • Praxishandbuch Wiederbelebung Almen. (2023). Almbewirtschaftung und Nachhaltigkeit in Österreich.
  • Transhumanz.eu. (o. D.). Schafübertrieb Schnalstal – Ötztal.