Ausbildung und Einsatz

Grundlagen, Aufzucht und Einsatz von Herdenschutzhunden

Autor: Herdenschutzhunde AG Österreich, August 2023

Tribolator, ein 7-jähriger wolfserfahrener Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund

Jahrtausende alte Tradition

Mit dem Verschwinden der großen Raubtiere vor mehr als einem Jahrhundert ging das Wissen über Herdenschutzhunde in den Alpen verloren. Die Rückkehr des Wolfes und des Goldschakals und seine rasche Ausbreitung haben viele Schaf-, Ziegen-, Rinder- und Pferdezüchter überrascht. Sie konnten und können sich oft nicht vorstellen, dass ein Wolf mitten in ihrer Herde bzw. auf ihren Weiden auftauchen kann. Die ersten Übergriffe lösen daher einen regelrechten Schock aus, zumal viele noch immer die Situation verharmlosen und Fakten verschleiern, von den Reaktionen und Meinungen auf den sozialen Medien ganz zu schweigen.

Herdenschutzhunde sind uralte Hunderassen. Man geht davon aus, dass die Vorfahren von Tibet mit asiatischen Nomadenvölkern nach Europa zur Zeit der Phönizier und dann der Römer vor allem in den mittleren und südlichen Apennin (Italien) gelangt sind. Die Verbreitung wurde durch die Handelsbeziehungen zwischen Asien und Europa gefördert, es ist daher kein Zufall, dass Hunde mit ähnlichen Merkmalen in mehreren europäischen Regionen zu finden sind.

Herdenschutzhunde gehören zu den Herdengebrauchshunden. Sie werden ausschließlich zum Schutz von Weidetieren eingesetzt und sind klar von den Hütehunden (z. B. Border Collies, Bergamasker, Altdeutsche Schäfer etc.) zu unterscheiden. Bereits in antiken Texten werden die Arbeit und der Wert dieser Hunde beschrieben, die aus Instinkt schützen, ohne dass der Mensch eingreifen muss, und die ein hohes Maß an angeborenem Verantwortungsbewusstsein für den Schutz all dessen haben, was ihnen anvertraut wurde. In alten römischen Schriften finden sich Hinweise, die von weißen Hunden als Beschützer der Herden vor Wölfen schreiben. Weißes Fell deswegen, um die Hunde vom Wolf zu unterscheiden, wenn dieser in der Nacht die Herde angreift und der Hirte eingreift.

Seit diesen ersten Beschreibungen vor zweitausend Jahren hat sich an den Herdenschutzhunden als Rasse praktisch nichts geändert. Das ist vielleicht der Hauptgrund für den Unterschied zu allen anderen Hunderassen, die vom Menschen oft nach seinen Wünschen und Vorstellungen gezüchtet und manipuliert werden und die auch heute noch weiter gezüchtet werden, um bestimmten Moden oder Trends zu entsprechen.

Herdenschutzhunde und Hirten waren schon immer die beste und effizienteste Art und Weise Nutztiere gegen Beutegreifer zu schützen, da diese sich dynamisch den unterschiedlichen Angriffsstrategien des Wolfes oder des Goldschakals anpassen. 

 

Beispiel für eine Herdenschutzhunderasse: Der Abruzzen-Maremma-Schäferhund

Der Name “Maremmano” leitet sich von der Bezeichnung der Maremma-Sümpfe im Süden der Toskana ab, in denen Schäfer, Hunde und Hunderttausende von Schafen überwintern und wo die Hunde immer noch zahlreich vorkommen, obwohl die Schafhaltung stark zurückgegangen ist. Diese Rasse ist jedoch in der nahegelegenen angrenzenden Region Abruzzen noch weiter verbreitet und kulturell eng mit ihr verbunden, weil die Schafhaltung für die ländliche Wirtschaft dort nach wie vor lebenswichtig ist und der Wolf (insbesondere der Apenninenwolf) ein weitverbreitetes und geschütztes Raubtier bleibt. In den Abruzzen gibt es außerdem eine größere Bärenpopulation die auch für Nutztiere gefährlich sein können.

Neben dem Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund aus Süditalien gibt es über 30 weitere verschiedene Herdenschutzhunderassen, die meisten davon sind in Europa und Asien heimisch und gelten in vielen der Ursprungsländer als selbstverständlicher Teil der Hirtenkultur. Dazu gehören unter anderem der Spanisch/Französische Pyrenäenberghund, der ungarische Kuvasz, der polnische Tatra-Schäferhund, der slowakische Slovenský Cuvac, der Šarplaninac (obwohl dieser nicht weiß ist) und der türkische Akbash. 

Am meisten Erfahrungen wurden mit Herdenschutzhunden in Schaf- und Ziegenherden gemacht, Herdenschutzhunde können aber auch andere Nutztiere, z.B. Ziegen, Geflügel oder Rindvieh bewachen. 

Der Abruzzen-Maremma-Schäferhund ist das Ergebnis eines sehr langen Selektionsprozesses. Hier eine Herden mit sieben Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde im Gran Sasso Nationalpark, Italien

Die landwirtschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Wanderschäferei sind die Umgebung und der Lebensraum in denen sich diese weißen Herdenschutzhunde entwickelt haben. Jahre der natürlichen und menschlichen Selektion haben ihn zu dem Herdenschutzhund gemacht, wie wir ihn heute kennen: Ausgeglichen und zuverlässig, voller Stolz und Würde, majestätisch und selbstbewusst; ein Hund, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die Nutztiere vor den Beutegreifern zu schützen, die seit Jahrtausenden die heimischen Herden heimsuchen. Die besonderen Charaktereigenschaften dieser Rasse sind außerdem eine starke Bindung an die Tiere und den Hirten und das Territorium sowie das völlige Fehlen eines Raubtierinstinkts. 

Die Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde fangen sehr früh im Alter von 40 Tagen an, ihre ersten Schritte mit der Herde zu machen und folgen dabei ihrem natürlichen Instinkt, ohne dass man ihnen etwas Bestimmtes beibringen muss. In dieser Zeit sind der Kontakt und die Sozialisierung mit Menschen aber auch sehr wichtig um ausgeglichene Hunde zu haben.

Die Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde weisen bestimmte körperliche Merkmale auf:

  • Größe und Kraft, um allein oder im Rudel Schutz vor Beutegreifern zu bieten.
  • Nüchternheit, Genügsamkeit und Robustheit, um das harte Leben eines Viehhüters mit den ständigen Wanderungen, der schlechten Ernährung und rauen Wetterbedingungen zu meistern.
  • Dichtes, halblanges Fell mit dicker Unterwolle, die eine perfekte Wärmeisolierung bietet und bei längerer Regeneinwirkung einen Traufeneffekt erzeugt.
  • Weißes Fell hilft bei der Tarnung innerhalb der Herde im Falle von Raubtierangriffen während der Nachtstunden und ermöglicht dem Hirten den Hund von Wölfen leichter zu unterschieden.

Die Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund leben ihr Leben lang bei den Schafen und Ziegen

Die Arbeit eines Herdenschutzhundes

Die Arbeit für einen Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund beginnt gleich nach dem Öffnen des Nachtpferchs, wo er vor den Schafen und Ziegen auf die Weide geht und unmittelbar voraus das Gebiet erkundet, um Spuren von Wölfen oder anderen Beutegreifern zu entdecken. 

Wenn er etwas Verdächtiges bemerkt, er ein fremdes Geräusch oder einen fremden Geruch wahrnimmt, beginnt der Herdenschutzhund zu knurren oder sogar zu bellen und alarmiert so den Hirten. Erst dann folgen die Schafe und Ziegen die den Hunden vertrauen. 

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Sheepherding Switzerland

Vier Herdenschutzhunde kontrollieren die Weide bevor die Schafe ihnen folgen.

Während der langen Nachmittage auf der Weide vergeht die Zeit sehr langsam. Die Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde ruhen im Schatten, fast unsichtbar für die Passanten, oder wenn die Herde in Bewegung ist, folgen sie den Schafen langsam. 

Mitten im Almrausch liegt einer der fünf Herdenschutzhunde während der Mittagpause im Gebüsch

Die Weibchen der Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde sind tagsüber etwas wacher als die Rüden und bleiben fast wie eine Sphinx sitzen, anstatt sich auf die Seite zu legen. Typischerweise wählt der Hund aufmerksam den Punkt, von dem aus er alle Zugänge kontrollieren kann, und bleibt dort Tag für Tag, bereit, unerwünschte Eindringling abzuwehren.

Links die Leithündin Sintinella und rechts der Leitrüde Tribolator wachen von einem erhöhten Punkt über die Herde

Fünf Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde begrüßen den Hirten am Morgen im Nachtpferch

In der Nacht verteilen sich die Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde fast gleichmäßig um den Nachtpferch und bewachen die eingezäunten Tiere die ganze Nacht und legen dabei bis zu 100km pro Nacht zurück. Oft werden die jüngeren Hunde innerhalb des Nachtpferchs bei den Schafen und Ziegen gehalten. Der Nachtpferch besteht in der Regel von Netzzäune mit einer Höhe von 108cm und ist mit 6-8000 Volt elektrisiert. 

In regelmäßigen Abständen markieren die Rüden das Gebiet rund um die Weiden großflächig um den Beutegreifern ihre Anwesenheit geruchsmäßig zu signalisieren. Wölfe meiden in der Regel diese markierten Hundeterritorien und damit werden Übergriffe bereits im Anfang verhindert. Ein Aufeinandertreffen von Herdenschutzhunde und Raubtiere ist sehr selten und meistens nur dann wenn zu wenig Herdenschutzhunde eingesetzt werden. 

Rot: Wolfrudel Rendezvousplatz; Grün: Weide die täglich mit Herdenschutzhunde und Schafe beweidet wird.

Die besonderen Eigenschaften der Herdenschutzhunde

Der Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund ist äußerst mutig und treu, und diese beiden Charaktereigenschaften machen ihn zu einem engagierten und verantwortungsbewussten Hüter, der unbestechlich und perfekt ausgeglichen ist, und zwar in einer Weise, die es ihm ermöglicht, unter mehreren gleichzeitigen Reizen diejenigen zu unterscheiden, die Aufmerksamkeit erfordern, und entsprechend zu handeln.

Seine meist ruhige Haltung entspringt dem Bewusstsein, im Recht zu sein und genau zu wissen, was zu tun ist. Der Ausdruck seiner Augen ist zwar immer aufmerksam und entspannt, aber nie misstrauisch.

Intelligenz ist die Fähigkeit, Momenten der gelebten Erfahrung eine praktische oder begriffliche Bedeutung zuzuordnen; bei Tieren umfasst dies eine mehr oder weniger entwickelte Fähigkeit zu assoziieren, zu abstrahieren und zu koordinieren. Bei den Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunden äußert sich die Intelligenz eher in bewussten und absichtlichen als in instinktiven Handlungen, begleitet von einem recht gut entwickelten Gedächtnis, Vorstellungs- und Unterscheidungsvermögen.

Auch wenn die oben genannten Fähigkeiten im Vergleich zu denen des Menschen eher bescheiden und praktischer Natur sind, können sie dennoch ein Niveau erreichen, welches es dem Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund ermöglicht, mit dem Menschen zusammenzuarbeiten und Aufgaben wahrzunehmen, die für uns nur schwer möglich sind. Herdenschutzhunde schützen gleichzeitig die Tiere und ein Territorium und wissen zum Beispiel sehr gut, wie sie sich räumlich über das zu schützende Gebiet selbstständig verteilen müssen. 

Hier eine Darstellung von GPS-Daten der drei Herdenschutzhunde oberhalb Stilfs und ihre Bewegung in einer Nacht rund um die Herde. Oft werden pro Woche 100km und mehr von den Hunden zurückgelegt.

Die Handlungen eines Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhundes erscheinen Außenstehenden außergewöhnlich: Ohne Befehl, ohne Anweisung beschließt er sich von der Herde, die er bewacht, zu trennen, um ein verletztes Schaf, ein neugeborenes Lamm oder ein anderes Tier, das Schwierigkeiten hat, der Herde im richtigen Tempo zu folgen, zu begleiten; oder wenn er geduldig neben einem gebärenden Schaf wartet, um es später zur Herde zurückzubringen. Oft ist auch zu beobachten, dass Mutterschafe in unmittelbarer Nähe der Herdenschutzhunde ablammen. Die Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde fressen dann die Nachgeburt und vermeiden somit ein Auftreten von Krähen, Füchse und anderen kleineren Beutegreifern.

Die Hündin Camarda begleitet das Mutterschaf währen der Geburt und wartet auf die Nachgeburt.

Wenn man dieses Verhalten betrachtet, könnte man versucht sein, es auf eine Art Training oder Ausbildung zurückzuführen, aber das stimmt nicht. Für einen Herdenschutzhund gibt es kein Training im herkömmlichen Sinne durch Menschen, seine Handlungen und sein Verhalten sind vielmehr das Ergebnis eines Aneignungsprozesses, das der junge Hund bis zum dritten Lebensjahr von erwachsenen, erfahreneren Hunden des Rudels (ab 3 Jahre), mit dem er zusammenlebt, nachahmt.

In der Welt der Hunde gibt es psychische Abweichungen wie Angst, Hemmungen vor Gefahren, Fluchttendenz oder unnötige Aggressivität, da sie als wesentliche Charakterfehler angesehen werden, von denen einige angeboren sein können, andere oft das Ergebnis einer problematischen Beziehung zu bestimmten Menschen sind. All diese Abweichungen sind mit den Erfordernissen des Hirtenwesens nur schwer vereinbar. Zum einen, weil sie das Gleichgewicht des Herdenschutzrudels stören, zum anderen, weil es fast unmöglich ist, sie zu beseitigen. In der Regel kann der Hirte die Entwicklung solcher Charaktereigenschaften vorhersehen und gegensteuern oder im extremsten Fall diese Hunde an private Käufer abgeben.

Hirt*Innen mit ihren Schafen und Ziegen und Herdenschutzhunde in Südtirol

 

Anforderungen an den Herdenschutzhundeführer

Der Einsatz von Herdenschutzhunden verändert die Organisation der Arbeit, Zucht innerhalb der Landwirtschaft. Die Folgen sind umso gravierender, als die Betriebe in Österreich, Südtirol und Bayern überhaupt nicht darauf vorbereitet sind. 

Wenn man mit Herdenschutzhundewelpen zum Schutz seiner Herde beginnt, wenn der Wolf nur noch ein paar Dutzend Kilometer vom Stall oder der Weide entfernt gesichtet wurde, ist es bereits vier Jahre zu spät. Drei Jahre sind die Mindestzeit, die für die Entwicklung von Herdenschutzhunden und deren Entdeckung und Kontrolle des Territoriums oder der Territorien, in denen sich ihre Herde aufhält, erforderlich ist. Dennoch bleibt der Herdenschutzhund das einzige Herdenschutzmittel, das in der Lage ist, sich an die wechselnden Strategien des Wolfes dynamisch anzupassen.

Hütehunde brauchen als Ergänzung gesunde, ausgeglichene und effektive Herdenschutzhunde bei der Arbeit. Diese Eigenschaften können nur durch eine echte genetische Selektion erreicht werden. Deshalb werden derzeit in dem Österreichischen Herdenschutzhundeprogramm nur Hunde aus Arbeitslinien eingesetzt, die über mehrere Generationen ihre Tauglichkeit unter Beweis gestellt haben. Herdenschutzhunde brauchen Hirten, die sie verstehen, was ein ungewöhnliches Loslassen erfordert. Dies wird durch die vielen Fehlinformationen in den sozialen Medien oft erschwert. 

Gina, ein 18 Monate alter Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhündin mit dem Kelpie Hirtenhund auf der Tabarettahütte in Südtirol. Beide warten auf die Herde die bereits auf dem Weg im Hintergrund zu sehen ist. 

Aus Erfahrung haben wir festgestellt, dass die meisten Betriebe und Hirten, die über den Eisnatz von Herdenschutzhunde nachdenken, oft unrealistische Erwartungen in Bezug auf Zeitraum und Einsatzmöglichkeiten haben. Angesichts der Fähigkeiten eines Welpen, der bis zu seinem dritten Lebensjahr ein unerfahrener Junghund ist und noch vom Familienrudel das Handwerk am Arbeitsplatz lernen muss, sind diese Erwartungen nicht zu erfüllen. Hinzu kommt, dass Welpen, die ohne erwachsene Herdenschutzhunde aufgezogen werden, wahrscheinlich nie das ideale Fähigkeitsniveau erreichen, da sie nicht von der Weitergabe der Erfahrung und des Wissens des erfahrenen Hunderudels profitieren. 

Die überwiegende Mehrheit der neuen Herdenschutzhundebesitzer haben Hütehunde. Ganz selbstverständlich versuchen sie, sich mit Herdenschutzhunden so zu verhalten, wie sie es mit ihren Hütehunden tun, vor allem indem sie Befehle erteilen. Draußen gibt es keinen größeren Gegensatz in Bezug auf das Verhalten als bei Hütehunden und Herdenschutzhunden. Steht der Hütehund unter der fast permanenten Kontrolle des Hirten, so verlangt der Herdenschutzhund ein fast völliges Loslassen des Hirten. Er ist ein unabhängiger, intelligenter, sensibler und mutiger Hund, der seine eigenen Entscheidungen trifft. 

Viele Tierhalter wollen durch die Rückkehr der Beutegreifer viel zu schnell vorgehen. Kaum ist der Welpe im Stall angekommen, fangen sie an, alle seine Reaktionen zu analysieren. Welpen sind jedoch noch nicht erwachsen. Man muss ihnen Zeit geben, um zu reifen. Und das dauert mindestens 3 Jahre und nicht Wochen oder Monate. Geduld ist das wichtigste Schlüsselwort. Das Zweite ist das Loslassen, was für neue Herdenschutzhundebesitzer meist sehr kompliziert ist. Das Wichtigste ist aber, dass der Welpen von den erfahrenen Älteren die Arbeit als Herdenschutzhund lernt. 

Grundlagen für einen Einsatz von Herdenschutzhunden

Für einen erfolgreichen Einsatz von Herdenschutzhunden sind folgende Herausforderungen jedenfalls zu beachten:

  1. Herdenschutzhunde arbeiten nie allein, sondern immer in Rudeln als Team mit anderen Schutzhunden.
  2. Herdenschutzhunde arbeiten in Partnerschaft mit ihren Hirten. Sie wurden noch nie ohne menschliche Anwesenheit in der Herde über längere Zeit allein gelassen.
  3. Herdenschutzhunde lernen ihr Handwerk in ihren ersten drei Lebensjahren, indem sie das Verhalten der Erwachsenen Herdenschutzhunde nachahmen und benötigen immer die Anwesenheit eines oder mehrerer älterer Herdenschutzhunde. 
  4. Der Kauf von Welpen oder Junghunde unter 2 Jahre wird nur empfohlen, wenn es im Betrieb bereits erfahrene ältere Hunde gibt.
  5. Herdenschutzhunde schützen gleichzeitig Nutztiere und ein Territorium. Sie wissen sehr gut, wie sie sich räumlich über das zu schützende Gebiet selbstständig verteilen können. Das muss der Hirte respektieren.
  6. Es sollten immer mehrere (5-7) Herdenschutzhunde pro Herde sein, unabhängig von der Herdengröße. Einige bleiben direkt innerhalb der Herde und ihrer unmittelbaren Umgebung, während andere in größerer Entfernung patrouillieren, um das Revier zu markieren, Gefahren zu erkennen und herannahende Raubtiere abzuwehren. 
  7. In keinem Fall wurden diese Hunde ausgewählt, um Raubtiere zu töten und daher gehört Aggressivität nicht zu den gesuchten Eigenschaften eines Herdenschutzhundes.
  8. Herdenschutzhunde müssen sehr gut mit verschiedenen Menschen beim Aufwachsen sozialisiert sein um den Einsatz in Tourismusgebieten zu ermöglichen. 
  9. Herdenschutzhunde haben eine liebevolle Beziehung zueinander und zu den Tieren, die sie schützen. Sie leben in einem Rudel und kennen und erkennen sich gegenseitig. Diese Beziehungen müssen unbedingt aufrechterhalten werden und dürfen nicht bei jedem Wechsel oder bei der Trennung einzelner Tiere vom Rudel verändert werden. Wenn es dennoch unumgänglich ist, muss man den Herdenschutzhunde Zeit zum eingewöhnen einräumen. Der Teamcharakter eines Rudles ist hier sehr wichtig. 
  10. In den seltenen Fällen, wo Herdenschutzhunde ohne ständige menschliche Anwesenheit auf gut eingezäunten Weiden gehalten werden, müssen diese mindestens einmal täglich über einen längeren Zeitraum besucht werden, um den Kontakt zum Menschen aufrecht zu erhalten. Auch hier ist es wichtig, dass mehrere Herdenschutzhunde zum Einsatz kommen und den Rudelcharakter des Teams zu ermöglichen.
  11. Herdenschutzhunde können als Welpen auf viele unterschiedliche Tierarten sozialisiert werden! Dies beginnt mit der Geburt der Welpen bei den Nutztieren.
  12. Im Winter müssen die Herdenschutzhunde im Stall zusammen mit den Nutztieren gehalten werden. Diese Phase ist für den Einsatz im Sommer sehr wichtig.

Einsatz in der modernen Kultur- und Tourismuslandschaft

In der modernen Welt, in der Kulturlandschaft, auf die viele unterschiedliche Nutzer Anspruch erheben, ist die die „soziale“, gesellschaftliche Verträglichkeit (Tourismus, Freizeitnutzung, Nachbarschaft am Heimbetrieb) fast genauso wichtig für den Herdenschutzhund, wie seine Fähigkeiten, seine Herde zu schützen. Diese wird in den jungen Jahren durch die enge Sozialisierung mit dem Hirten und weitere Menschen erreicht.

Bergstation K2 oberhalb Sulden in Südtirol mit 460 Schafe und Ziegen sowie 6 Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhunde und hunderte tägliche Touristen.

Um die Einsatzfähigkeit auch in diesem Umfeld unter Beweis zu stellen, werden Herdenschutzhunde in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz und auch bereits Österreich durch damit beauftragte Stellen zertifiziert, das heißt, sie müssen in standardisierten Situationen zeigen, wie sie (re-)agieren. Diese Situationen umfassen z. B. einen Wanderer, der die Schafherde durchquert, mit und ohne eigenen Begleithund, ein Radfahrer, der an der Herde vorbeifährt, aber auch wie reagiert der Hund auf Besucher am Heimbetrieb, außerhalb der Weidesaison.

Zertifizierung durch das Österreichzentrum Bär, Wolf und Luch von einem Abruzzen-Maremma-Herdenschutzhund in Tirol

Ein wichtiger Teil dieser Zertifizierung betrifft aber nicht nur den Hund, sondern auch seinen Besitzer und alle die, die mit dem Hund arbeiten – auch die Menschen müssen zeigen, dass sie den Hund in solchen Situationen so weit wie notwendig unterstützen können und über seine Bedürfnisse und seine Verhaltensweisen Bescheid wissen.

In Österreich ist so eine Zertifizierung auch die Voraussetzung, eine Förderung für die Unterhaltskosten zu bekommen, jedoch nur für Herdenschutzhunde, die auf einer Alm gemeinsam mit einem Hirten eingesetzt werden. In Österreich ist das Österreichzentrum Bär, Wolf, Luchs (https://baer-wolf-luchs.at) für diese Zertifizierungen verantwortlich. In Deutschland übernehmen verschiedenen Herdenschutzhundevereine diese Überprüfung.

Quellen: https://www.pastore-maremmano.ithttps://hogandesvents.nutritionverte.com

https://lifestockprotect.info, https://herdenschutz.info

 

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Herdenschutz Tirol © All rights reserved European Wilderness Society

Es wird darauf geachtet, dass die Herdenschutzhunde nur von anerkannten und zertifizierten Züchtern wie zum Beispiel dem Verein Herdenschutzhunde Schweiz (HSH-CH) stammen und dass die Tiere von einer für den Herdenschutz geeigneten Rasse und Arbeitslinien sind.
Herdenschutzhunde für Schafherden wachsen im Schafstall auf und sind deshalb komplett auf das Zusammenleben mit diesen Tieren sozialisiert. Sie leben auf der Weide mit den Schafen und verteidigen diese und das entsprechende Gebiet aufmerksam und mit bewusst gefördertem Schutzverhalten. Die dafür geeigneten Hunde kommen in nahezu jedem Gelände zurecht und organisieren die Verteidigung der Herde selbstständig. Bei jedem Wetter schützen sie ihre Herde instinktsicher Tag und Nacht.

Sofern Schafe noch nicht an Hunde gewöhnt sind, müssen die Schafherden in einer Eingewöhnungsphase an die Herdenschutzhunde und gegebenenfalls auch an die Arbeit der Hütehunde gewöhnt werden. Herdenschutzhunde lassen sich besonders effizient in eine Schafherde eingliedern, wenn Altschafe darunter sind, die bereits an die Gegenwart von Hunden vertraut sind. Die Altschafe fungieren dann als Vorbild für die anderen Schafe.